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Stationäre und dynamische Simulation

Bei Computersimulationen wird häufig zwischen stationärer und dynamischer Simulation unterschieden. Wir wollen diese Begriffe genauer definieren und die Unterschiede erläutern.

Manuel Gräber

Manuel Gräber

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April 30, 2020

Wasser als Sinnbild für stationären und dynamischen Zustand

Oleg Magni / Pexels

Stationärer Zustand eines Systems

Als stationär bezeichnet man ein System, das ohne eine Anregung von außen seinen Zustand nicht mehr ändert. Zum Beispiel ein Ball, der einen Hügel runtergerollt und in einer Senke zum Liegen gekommen ist. Dieser Ball wird seinen Zustand (Position, Geschwindigkeit) nicht wieder ändern, so lange er nicht von außen angeregt wird – zum Beispiel durch einen kräftigen Fußtritt.

Auf die Modellvorstellung kommt es an

In der echten Welt ist alles ständig in Bewegung. Genau genommen wird man kaum einen echten stationären Zustand irgendwo in der Realität finden. Selbst der Ball aus dem Beispiel oben ist nicht wirklich in einem stationären Zustand. Kein Ball der Welt ist 100% dicht. Das heißt, es entweicht ständig etwas Luft und der Druck innerhalb des Balls sinkt langsam. Die Stationarität ist also ein eher theoretisches Konzept. Sie hängt unmittelbar mit der Modellvorstellung also der Vereinfachung eines Systems zusammen. Zentral dabei ist die Frage, welche Größen den Zustand eines Systems beschreiben. Nehme ich als Modellierer an, Position und Geschwindigkeit des Balls reichen, um seinen Zustand zu beschreiben, dann ist der Ball in der Senke in einem stationären Zustand. Wenn mich hingegen auch der Luftdruck im Ball interessiert, ist er es nicht.

Mathematische Beschreibung

Mathematisch werden dynamische Systeme mit Differentialgleichungen beschrieben. Zum Beispiel durch eine explizite gewöhnliche Differentialgleichung der Form:

$$\frac{{\rm d}x}{{\rm d}t} = f(x, p)$$

Die zeitliche Ableitung des Zustands x ist eine Funktion des Zustands selbst und eines veränderbaren aber zeitlich konstanten Parameters p. Um den stationären Zustand xs des modellierten Systems zu bestimmen, genügt es die Zeitableitung gleich Null zu setzen:

$$0 = f(x_{\rm s}, p)$$

Diese Gleichung ist gleichbedeutend mit dem stationären Modell eines Systems und liefert den gesuchten stationären Zustand bei gegebenen Parameterwerten. Entweder kann die Funktion f symbolisch explizit nach xs umgeformt werden oder es müssen numerische Iterationsverfahren wie das Newton-Verfahren genutzt werden. Diesen Prozess der impliziten oder expliziten Berechnung eines stationären Zustands für gegebene Parameter bezeichnet man als stationäre Simulation. In der Praxis entstehen dabei häufig große gekoppelte Gleichungssysteme, deren numerische Lösung alles andere als trivial ist. Den verschiedenen Lösungsmethoden widmen wir uns in zukünftigen Artikeln.

Eine dynamische Simulation hingegen berechnet den Zeitverlauf der Zustandsgrößen beginnend von einem gegebenen Anfangswert. Zusätzlich zu der oben definierten Differentialgleichung muss also ein Wert für die Zustandsgrößen zum Zeitpunkt t=0 gegeben sein. Einfache Differentialgleichungen können analytisch gelöst werden. Bei komplexeren Gleichungssystemen kommen numerische Lösungsmethoden wie das Euler-Verfahren zum Einsatz.

Warum stationäre Simulation?

Die kurze Antwort ist: Vergleichbarkeit. Für die längere Antwort holen wir etwas weiter aus. Bei der Entwicklung technischer Systeme gibt es für Ingenieure eine Vielzahl von Freiheitsgraden, aber auch konkurrierende Entwicklungsziele (z.B. minimaler Bauraum und maximale Leistung). Mit Computersimulation kann der komplexe Zusammenhang zwischen Freiheitsgraden und unterschiedlichen Entwicklungszielen untersucht werden. Dabei werden die Entwicklungsfreiheitsgrade in Form von veränderbaren Modellparametern beschrieben. Für die meisten technischen Systeme ist der stationäre Zustand, der sich bei gegeben Parametern und Randbedingungen einstellt, eindeutig und reproduzierbar. Das bedeutet, Ergebnisse einer stationären Simulation können direkt miteinander verglichen werden. Der Einfluss von Modellparametern kann systematisch untersucht werden. Würde man hingegen dynamische Systemzustände untersuchen, wäre der Vergleich deutlich schwieriger. Die Ergebnisse würden dann nämlich vom aktuellen Systemzustand am (zufällig ausgewählten) Beobachtungszeitpunkt abhängen.

Warum dynamische Simulation?

Für manche Fragestellungen genügt es nicht, stationäre Arbeitspunkte eines technischen Systems zu analysieren. Zum Beispiel, wenn es bei der Entwicklung eines PKW um die bekannte Zielgröße „von 0 auf 100 km/h in x Sekunden“ geht. Dieser Beschleunigungstest ist per Definition dynamisch. Oder ganz allgemein, wenn es um die Auslegung eines Reglers geht. Ob ein geschlossener Regelkreis stabil ist oder nicht, lässt sich nur in einer dynamischen Simulation beantworten. Häufig wird die dynamische Simulation auch nur als Hilfsmittel verwendet, um stationäre Punkte zu berechnen. Wählt man die Simulationszeit lang genug, stellt sich ohne äußere Anregung bei jedem stabilen dynamischen System (wie in der echten Welt) ein stationärer Zustand ein. Bei großen nichtlinearen Systemmodellen ist diese Methode häufig zuverlässiger – wenn auch langsamer – als eine direkte Bestimmung des stationären Zustands.

Manuel Gräber

Dr.-Ing.

Manuel Gräber

Managing Director

TLK Energy

Dr.-Ing. Manuel Gräber arbeitet seit 2008 an der Modellierung, Optimierung und Regelung von thermischen Systemen. Seine Promotion an der TU Braunschweig hat er mit dem Thema „Energieoptimale Regelung von Kälteprozessen“ abgeschlossen. Im Rahmen der Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig und als Angestellter bei der TLK-Thermo GmbH hat er zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit verschiedenen Industriepartnern durchgeführt. Seine besondere Stärke ist die Verknüpfung einer breiten theoretischen Wissensbasis aus verschiedenen Disziplinen mit der praktischen Erfahrung konkreter Ingenieursprojekte.

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