Welche Heizleistung benötigt ein Elektroauto im Winter? Warum ist das für Elektroautos, die im Winter unter einem Reichweiteverlust leiden, interessant? Mit einem physikalischen Modell haben wir eine Heizlastberechnung unter verschiedenen Randbedingungen durchgeführt.
Warum kommt es bei Elektroautos zu einem Reichweiteverlust im Winter? Bei E-Autos kann nicht, wie bei konventionellen Autos, die Abwärme des Verbrennungsmotors zur Beheizung des Innenraums genutzt werden, stattdessen wird für die notwendige Heizleistung elektrische Energie der Antriebsbatterie entzogen. Dies führt zu einem Reichweiteverlust von teilweise bis zu 50% bei niedrigen Außentemperaturen. Um diesen Heizenergiebedarf nicht über die Batterie decken zu müssen, verfolgen wir in Kooperation mit Partnern aus Industrie und Forschung im Projekt LatHe.GO die Idee einen zusätzlichen Latentwärmespeicher für die Heizung eines Elektrobusses einzubauen. Doch wie groß muss ein solcher Speicher sein, um den Wärmeenergiebedarf zu decken? Um diese Frage beantworten zu können, haben wie zunächst die Heizleistung mittels Simulation unter verschiedenen stationären Randbedingung berechnet. Die physikalischen Hintergründe und unser Vorgehen erläutern wir in diesem Blogartikel.
Wir stellen üblicherweise einen hohen Anspruch an die Temperatur und Luftqualität in unseren Fahrzeugen. Auch bei Wind und Wetter soll es im Fahrzeug angenehm warm und behaglich sein. An heißen Tagen im Sommer mögen wir es etwas kühler als draußen und im Winter wärmer. Ein guter Anhaltspunkt sind z.B. 20°-23°C und ca. 50% Luftfeuchtigkeit im Winter. Im Sommer, bei hohen Außentemperaturen, können wesentlich höhere Innenraumtemperaturen (z.B. 26°C) als behaglich empfunden werden. Die gewünschten Bedingungen sollen nach Möglichkeit ohne größere Abweichungen eingehalten werden, egal ob bloß eine Person fährt oder das Fahrzeug voll besetzt ist, im Winter wie im Sommer, bei Regen und bei Schnee, und zwar direkt ab Fahrbeginn und nicht erst nach einer Viertelstunde.
Die Fahrzeugkabine weist eine relativ große Oberfläche in Bezug auf ihr Volumen auf, wodurch sich Temperatur, Luftgeschwindigkeit und solare Einstrahlung außerhalb der Kabine schnell auf das Innenraumklima auswirken. Hinzu kommt, dass die Kabine möglichst gewichts- und platzsparend aufgebaut ist und dadurch Abstriche bei Dämmung und Verglasung in Kauf genommen werden müssen. Gleichzeitig ist das verfügbare Luftvolumen pro Person in der Kabine relativ gering, sodass wir selbst die Luftqualität durch Transpiration, Atmung und Wärmeabgabe maßgeblich beeinflussen.
All diese Bedingungen führen dazu, dass der Leistungsbedarf zur Klimatisierung eines Fahrzeugs recht hoch ist und bei einem Auto schon in der Größenordnung eines modernen Einfamilienhauses liegt. Zudem ist die Dynamik hinsichtlich Temperatur und Feuchte im Fahrzeug deutlich höher als bei Gebäuden, sodass die Regelung der Heizung und Kühlung viel schneller reagieren muss.
Zuerst analysieren wir die einzelnen physikalischen Aspekte des Wärmetransports und fügen diese dann zu einem Gesamtmodell der Fahrzeugkabine zusammen.
Das Komfort-Empfinden hängt sowohl von der Lufttemperatur und -feuchte als auch von den Oberflächentemperaturen der umgebenden Flächen (Wärmestrahlung) ab. Zur Ermittlung des Komforts müssen also alle diese Größen im Modell bestimmt werden.
Von außen wirkt neben der Luft (Temperatur, Feuchte, Windgeschwindigkeit) auch solare Strahlung auf die Fahrzeugkabine ein. Die Interaktion der Umgebung mit dem Fahrzeug findet über 3 Mechanismen statt:
Beim Luftaustausch ist zwischen nicht-kontrollierter Infiltration durch Spalte und Undichtigkeiten sowie kontrolliertem Luftwechsel über die Lüftungsanlage zu unterscheiden. Die Berechnung erfolgt über den Massenstrom multipliziert mit der Enthalpiedifferenz zwischen Innen- und Außenluft. Die Enthalpien können dabei einfach über die Temperatur und Feuchte der Luft berechnet werden. Oft ist allerdings der Massenstrom nicht oder nur ungenau bekannt. In der Fachliteratur finden sich Luftwechselraten nahe 0 bis hin zu 75/h. Zu erklären ist dies durch die Abhängigkeit der Infiltration von der Fahrgeschwindigkeit sowie dem immensen Einfluss des Nutzers (Fenster- und Türöffnungen, Einstellung der Lüftungsanlage). Diese große Schwankungsbreite führt zu einer ebenso großen Unsicherheit in der Energiebilanz. Für eine Berechnung des Wärmebedarfs sollte der Luftaustausch durch plausible Annahmen daher möglichst gut abgeschätzt werden.
Die Temperaturdifferenz zwischen Innen- und Außenluft führt zur einer Wärmeübertragung durch Türen, Dach und Fenster. Mathematisch wird die Wärmeleitung für jede Schicht der Bauteile durch eine Reihenschaltung von Widerständen und Wärmekapazitäten beschrieben. Die Materialparameter, Flächen und Dicken sind oft hinreichend gut bekannt, sodass hier keine größeren Unsicherheiten ins Modell einfließen. Bloß die Wärmeübergänge an Innen- und Außenseite sind abhängig von Luftbewegung und somit abhängig von der Fahrsituation und entsprechend schwerer zu bestimmen.
Die solare Strahlung auf die Außenflächen des Fahrzeugs kann in direkte und diffuse (richtungsunabhängige) Strahlung unterteilt werden. Die Strahlungsintensität kann stark variieren (von nachts 0 bis über 1000 W/m² bei strahlend blauem Himmel) und die direkte Strahlung ist zudem abhängig von Sonnenstand und Fahrzeugausrichtung.
Beim Fahrzeug sind opake und durchsichtige Außenflächen zu unterscheiden. Bei opaken Oberflächen wird ein Teil der Strahlung reflektiert und der andere Teil wird absorbiert. Die äußere Oberfläche heizt sich dadurch auf und gibt ihre Wärme dann über Wärmeleitung ins Innere oder über Konvektion an die Umgebung ab. An den Fenstern findet ebenfalls Reflektion und Absorption statt (analog zu den opaken Flächen). Ein Teil der Strahlung wird aber auch in den Innenraum transmittiert und trifft auf verschiedene Einbauten (z.B. Sitze). Dort wird die Strahlung größtenteils absorbiert und heizt so die inneren Oberflächen auf, die ihrerseits wiederum Wärmestrahlung emittieren. Diese emittierte Wärmestrahlung ist aber recht langwellig und kann kaum mehr durch die Fenster nach außen transmittiert werden (Treibhauseffekt). Für den Strahlungsaustausch der inneren Flächen untereinander müssten streng genommen Sichtfaktoren genutzt werden. Oftmals genügt es aber den Strahlungsaustausch einfach proportional zur Bauteiloberfläche (unabhängig von Winkel und Verschattung durch andere Flächen) zu berechnen. Die Aufheizung des Armaturenbretts in der Mittagssonne kann man so allerdings dann nicht mehr bestimmen.
Schließlich müssen noch die Personen in der Fahrzeugkabine berücksichtigt werden. Vielfach wird hierzu ein konstanter Quellterm für Wärme in der Energiebilanz und Wasser (Transpiration) in der Massenbilanz genutzt.
Das Gesamtmodell der Fahrzeugkabine ergibt sich nun indem man oben genannte Gleichungen für alle Flächen und Bauteile aufstellt und miteinander verknüpft. 😉
Wie ein solches Fahrzeugkabinen-Modell aussehen kann, zeigt der Screenshot aus dem Cabin AddOn unserer TIL Bibliothek. Durch den objekt-orientierten Aufbau von Modelica müssen die entsprechenden Wand- und Fenster-Elemente nur einmal deklariert werden und können dann mit unterschiedlicher Parametrierung wiederverwendet werden. So kann effizient und zuverlässig ein Gesamtsystem mit mehreren tausend Gleichungen aufgestellt werden.
Die Heizung und Kühlung der Fahrzeugkabine erfolgt technisch normalerweise über die Zuluft und somit außerhalb der Bilanzgrenze der Fahrzeugkabine. Die Zulufttemperatur und Feuchte wird dabei so geregelt, dass wir den Wunschzustand (z.B. 20°C und 50% Luftfeuchtigkeit) in der Fahrzeugkabine erreichen. Die Wärme, die wir hierfür bereitstellen müssen, entspricht der Heizleistung des Fahrzeugs.
Durch die Berücksichtigung der Wärmekapazitäten der Bauteile und der Innenraumluft, können sowohl stationäre als auch dynamische Fragestellungen mit dem Modell simuliert werden.
Im Rahmen unseres Forschungsprojekts LatHe.GO haben wir die stationäre Heizleistung eines elektrischen Kleinbusses für verschiedene Wetter- und Betriebsbedingungen berechnet und für die Auslegung eines Latentwärmespeichers genutzt. Für die Ermittlung des Wärmeenergiebedarf in kWh kann einfach die stationäre Heizleistung mit den Fahrstunden multipliziert werden. Abhängig von den Randbedingen können so Rückschlüsse auf die Dimensionierung des Speichers gemacht werden. Da zu Projektbeginn nur ein Fahrzeugprototyp und keinerlei Messdaten zur Verfügung standen, war die Simulation die einzige Möglichkeit eine realistische Abschätzung des Heizenergiebedarfs zu erhalten.
Exemplarisch zeigen wir hier das Ergebnis für drei Wetterbedingungen. Für alle Szenarien haben wir 6 Passagiere, 50% Luftfeuchte und einen Luftwechsel von 10/h bei einer Innentemperatur von 20°C angenommen. Die Ergebnisse für die drei Wetterbedingungen zeigen, dass der Bedarf stark von den äußeren Bedingungen abhängt. Man erkennt aber auch, dass durchaus unterschiedliche Wetterbedingungen zu einer ähnlichen Heizlast führen können. Dies hier sind nur einige wenige Aspekte und für eine tiefergehende Diskussion müsste man weitere Parameter-Variationen betrachten. In einem weiteren Blogartikel können Sie mehr über die umfangreiche Parameterstudie mit Modelica und Python mit zehntausenden Simulationen erfahren.
Neben den stationären Fragestellungen gibt es aber auch viele dynamische Aspekte, die mit Hilfe der Simulation bewertet und analysiert werden können. Zahlreiche Situationen im Straßenverkehr führen zu dynamischen Lastwechseln. Denken Sie zum Beispiel an eine Tunneldurchfahrt oder eine große Wolke, die die Sonneneinstrahlung deutlich reduziert. Zudem können Personen zu- oder aussteigen. All dies hat Auswirkungen (solare Einstrahlung, erhöhter Luftwechsel bei geöffneten Türen, Wärmeabgabe der Personen) auf die Innenluft und erfordert gegebenenfalls eine Anpassung der Klimatisierung. Ebenso kann das Aufheizverhalten der Fahrzeugkabine untersucht werden. Sei es zur Auslegung einer Standheizung oder zur Optimierung der Start-Stopp-Automatik des Motors.
Diese Aufzählung könnte man wohl beliebig ergänzen und diskutieren. Ich möchte es in diesem Artikel aber dabei belassen und hoffe Ihnen einen ersten Überblick zur Physik von Fahrzeugkabinen gegeben zu haben.