Wann lohnt sich die thermische Gebäude­simulation?

Oft genügen statische Berechnungen bei der energetischen Planung von Gebäuden. In einigen Fällen sind aber thermische Gebäudesimulationen im Vorteil.

Lina Rosenthal

Lina Rosenthal

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September 30, 2021

Thermographie Gebäude Simulation

Tim Reckmann | ccnull.de

Was ist eine thermische Gebäudesimulation?

Bei der Gebäudesimulation wird ein digitales Modell des Gebäudes in einem Simulationsprogramm modelliert. Hierbei sollten die physikalischen Zusammenhänge und alle wichtigen Einflüsse auf das thermische, energetische und anlagentechnische Verhalten des Gebäudes möglichst realitätsnah abgebildet werden. Bei der thermischen Gebäudesimulation liegt der Fokus auf dem thermischen Verhalten des Gebäudes. Es geht vor Allem um die Temperaturverläufe und den Energieverbrauch für Heizung und Kühlung. Die Anlagentechnik wird meistens nicht im Detail modelliert. Vielmehr wird ermittelt, welche Leistungen von der Anlagentechnik erbracht werden müssen (z.B. Heiz- und Kühllast), um bestimmte Temperaturen im Gebäude einzuhalten.
Welche Aspekte besonders wichtig sind und welche Detailtiefe benötigt wird, hängt vom Gebäude und den Fragestellungen ab, die mit Hilfe der Gebäudesimulation beantwortet werden sollen.

Unterschiede zwischen thermischer Gebäudesimulation und statischen Berechnungsmethoden

In der Regel wird bei der thermischen Gebäudesimulation dynamisch gerechnet, das heißt es wird der zeitliche Verlauf verschiedener Größen betrachtet. Man spricht daher auch von dynamischer Simulation. Bei der Gebäudesimulation werden zum Beispiel für jede Stunde im Jahr Referenzwetterdaten in das Simulationsprogramm eingelesen und mittels Bilanzgleichungen die Temperaturen im Innenraum ermittelt. Der Zustand des Gebäudes wird hierbei durch Lösen der Bilanzgleichungen immer wieder neu berechnet und das Ergebnis des vorhergehenden Berechnungsschrittes ist der Ausgangszustand für den nächsten Berechnungsschritt. Wie viele Berechnungsschritten erfolgen, kann je nach Programm eingestellt werden. So wird z.B. auch berücksichtigt, dass eine massive Wand mit hoher Wärmekapazität thermische Energie speichert. Dies führt dazu, dass die Temperatur in der Wand und damit auch die im thermischen Austausch stehende Innenraumtemperatur stabiler ist und weniger stark mit der Außentemperatur schwankt. Als Ergebnis der dynamischen Gebäudesimulation erhält man den zeitlichen Verlauf einer Größe wie z.B. Temperatur und Leistung.

Bei den statischen Berechnungsmethoden nach Norm werden zum Beispiel zur Ausstellung des Energieausweises (nach DIN 18599) tabelliert Referenzwerte für verschiedene Gebäudetypen und Wetterbedingungen herangezogen. Die Formeln zur Ermittlung des Energiebedarfs basieren ebenfalls auf Bilanzgleichungen, diese werden allerdings nicht für jeden Zeitschritt neu gelöst. Stattdessen wird mit Korrekturfaktoren gearbeitet, wie z.B. die wirksame Wärmekapazität, um Speichereffekte zu berücksichtigen. Auf Grund der fehlenden zeitlichen Auflösung bei der statischen Berechnung, würden diese Effekte ansonsten vollständig verloren gehen.
Es kann auch nicht auf jedes Gebäude individuell eingegangen werden, stattdessen wird kategorisiert. Beim Energieausweises, der beim Bauantrag vorgelegt werden muss, wird zum Beispiel zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden unterschieden und es gibt zahlreiche Referenzwerte, die auf unterschiedliche Nutzungsarten, Standortbedingungen (viel/wenig Wind) und Gebäudearten (z.B. hohe/geringe Masse) eingehen und in die Berechnung einfließen, aber es können natürlich nicht alle Varianten abgedeckt werden. Bei den Referenzwerten handelt es sich um Mittelwerte, die sich in der Vergangenheit als gute Näherung für viele Gebäude erwiesen haben. So lässt sich zum Beispiel der jährliche Energiebedarf sowie Heiz- und Kühllast anhand der Gebäudedaten und dem Berechnungsverfahren nach Norm abschätzen. Dynamische Wechselwirkungen gehen nicht direkt in die Berechnung ein. Als Ergebnis der statischen Berechnung erhält man Kenngröße aber keine zeitlich aufgelösten Ergebnisse wie z.B. den Temperaturverlauf über ein Jahr.

Das statische Berechnungsverfahren unterscheidet sich von der dynamischen Simulation erheblich und kann mitunter zu anderen Ergebnissen führen.

Ergebnisse einer Gebäudesimulation

Drei Fragen, die sich mit Hilfe der thermischen Gebäudesimulation beantworten lassen:

  1. Wie lässt sich die Gebäudehülle optimieren, um einen möglichst hohen thermischen Komfort bei gleichzeitig hoher Energieeffizienz zu erzielen?
    Hierbei sind Fenster­größen/ Ausrichtung, Verschattung und Dämmung besonders im Fokus.
  2. Wie hoch ist die Heiz-/Kühllast und der Heiz- bzw. Kühlenergiebedarf, wie groß muss ich folglich mein Heiz- und Kühlsystem auslegen?
    Unter Heiz- und Kühllast versteht man die Spitzenleistung, die aufgebracht werden muss, um vorgegebene Temperaturen zu halten. Der Heiz- und Kühlbedarf ist die Energie, die Heizung und Kühlung in einem Jahr benötigen.
  3. Wird der sommerliche Wärmeschutz eingehalten bzw. wie kann er erfüllt werden?
    Der sommerliche Wärmeschutz ist in der Gebäudeenergiesparverordnung GEG und DIN 4108-2 vorgeschrieben und soll sommerliche Überhitzung mit Hilfe baulicher Maßnahmen verhindern.

Wann lohnt sich die thermische Gebäudesimulation besonders?

Eine thermische Gebäudesimulation kann sich vor Allem bei Gebäuden lohnen, die nicht dem Standard entsprechen. Handelt es sich um ein weitgehend konventionelles Gebäude, sorgen die gesetzlichen Vorgaben für einen Mindeststandard bei der Energieeffizienz und die Einhaltung des sommerlichen Wärmeschutzes.

Eine Auflistung, wann eine thermische Gebäudesimulation besonders sinnvoll ist:

  • Bei allen individuellen Bauten, die vom Standard abweichen, z.B. große Glasflächen, intelligente Gebäudeautomation, hohe thermische Masse des Gebäudes
  • Vergleich verschiedener Szenarien z.B. unterschiedliche Heiz-und Kühlsysteme
  • Simulation von Extremsituationen, wie z.B. Extremwetter (Zukunftswetter)
  • Grenzen der Nutzbarkeit/ Anlagentechnik finden, wie z.B. zu viele Menschen im Konferenzraum im Hochsommer
  • Der sommerliche Wärmeschutz kann gegebenenfalls einfacher nachgewiesen werden, da dynamische temperaturmindernde Faktoren mit in die Berechnung einbezogen werden können (z.B. intelligente Regelung der Fenster-Verschattung, Nachtlüftung)
  • Speichereffekte sollen berücksichtigt werden, z.B. bei der Auslegung von Anlagentechnik in Verbindung mit einem Eisspeicher
  • Vor allem bei großen innovativen Projekten kann eine Simulation helfen Planungsfehler aufzudecken

Vor- und Nachteile der thermischen Gebäudesimulation:

Die Gebäudesimulation bietet meistens realistischere Vorhersagen und hiermit mehr Planungssicherheit. So lässt sich das Gebäude im Vorfeld besser optimieren.
Dies geht allerdings in der Regel mit höheren Kosten und Zeitaufwand einher als nur statische Berechnungen durchzuführen. Der erhöhte Kosten- und Zeitaufwand in der Planungsphase kann sich im späteren Betrieb um ein Vielfaches auszahlen.
Für die Zertifizierung von Gebäuden hinsichtlich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz müssen viele Kriterien erfüllt werden. Die Nachweise hierfür können mittels Simulation erbracht werden. Statische Berechnungsmethoden reichen hier in vielen Fällen nicht aus. Bekannte Zertifizierungssysteme sind zum Beispiel DGNB und LEED.
Durch eine genauere Auslegung der Anlagentechnik mit Hilfe der Simulation lassen sich Kosten sparen, da kein so großer Sicherheitsfaktor aufgeschlagen werden muss. Hierbei besteht ein Bedarf an verlässlichen Modellen für die Anlagentechnik und/oder Messdaten, damit das Verhalten richtig abgebildet werden kann.
Das Simulationsmodell kann dazu genutzt werden verschiedene Regelungen miteinander zu vergleichen und so die effizienteste auszuwählen. Die Umsetzbarkeit von Regelungskonzepten muss allerdings mit verschiedenen Gewerken abgestimmt werden. Das Simulationsmodell kann später für das Monitoring genutzt werden, um Fehler zu finden und den Gebäudebetrieb zu optimieren. Hierfür müssen allerdings Schnittstellen (z.B. zur Gebäudeleittechnik) für die Übergabe aller erforderlichen Messdaten eingerichtet werden.

Die Nachteile der Gebäudesimulation könne auch als Herausforderungen verstanden werden. Wird die Simulation zur gängigen Praxis, sinkt zukünftig auch der Aufwand für ihre Durchführung. Besonders wichtig ist hierbei der funktionierende Informationsaustausch zwischen den Gewerken, sodass Simulation und Baupraxis ineinandergreifen.

Sechs Ziele der thermischen Gebäudesimulation:

  1. Optimierung von Gebäudehülle und Design
  2. Verbesserung der Behaglichkeit/Komfort
  3. Erhöhung der Energieeffizienz
  4. Funktionsfähigkeit bei unterschiedlicher Nutzung/Umweltbedingungen gewährleisten
  5. Planungssicherheit gewinnen und Fehler in der Planung vermeiden
  6. Kosten einsparen durch effizientere Anlagentechnik und Regelung

Was für eine Art von Gebäudesimulation brauche ich?

Dies hängt von den Fragestellungen ab, die Sie gerne mit der Simulation beantworten möchten. Benötigen Sie nur den Nachweis des Sommerlichen Wärmeschutzes mittels Simulation, dann fragen Sie eine*n Energieberater*in, hier gibt es inzwischen Erweiterungen für existierende „Energieberatersoftware“.
Wenn Sie daran interessiert sind, ihr Gebäude dynamisch auszulegen und zu optimieren, stellt sich die Frage, was Sie optimieren möchten. Hierbei kann es sinnvoll sein das Gebäude nur thermisch oder auch anlagentechnisch (Anlagensimulation) zu betrachten. Möchten Sie die Gebäudehülle optimieren (z.B. Wandaufbauten, Fenster, Dach), sollte eine thermische Simulation ausreichen.
Interessieren Sie sich für das Zusammenspiel von Gebäude und Anlagentechnik mit Besonderem Fokus auf eine effiziente Auslegung und Regelung, ist eine gekoppelte Anlagen- und Gebäudesimulation sinnvoll. Dies macht vor Allem im industriellen Bereich Sinn, wenn zum Beispiel in einem Bereich Kälte und im Anderen Wärme benötigt wird. Hier besteht oft ein großes Potential für Energieeinsparungen durch intelligente Planung.
Ideal ist ein funktionierender Import aller Daten aus dem BIM-Modell Ihres Gebäudes in die Simulationssoftware. Dies ist erst möglich, wenn ein fertiges CAD-Modell und alle notwendigen Daten vorliegen. Für die Durchführung von Simulationen bereits in der Vorplanung ist dieses Verfahren daher nicht geeignet.

Nur das Simulieren, was Sie wissen möchten: Gebäudesimulation mit Modelica

Es muss also nicht immer das ganze Gebäude inklusive Anlagentechnik simuliert werden, es hängt viel mehr davon ab, was Sie wissen möchten.
Möchten Sie z.B. unterschiedliche Kühlsysteme miteinander vergleichen, dann reicht es in vielen Fällen aus nur einen Raum zu simulieren. Modelliert man den Raum, der im Gebäude besonders schnell überhitzt und gibt realistische Randbedingungen vor, lassen sich die verschiedenen Kühlsysteme sehr gut hinsichtlich der Energieeffizienz und Behaglichkeit bewerten.
Es ist also in dem Fall nicht nötig das ganze Gebäude mit allen Einzelheiten abzubilden Dies spart natürlich Zeit und Kosten.
In unserer täglichen Arbeit nutzen wir Modelica, um die unterschiedlichsten Systeme im Bereich der Thermodynamik, Verfahrens- und Energietechnik abzubilden. Die Modelica-Sprache ermöglicht eine große Flexibilität. So können wir bestehende Modelle nach Belieben anpassen oder ganz neue erstellen. Damit ist es möglich neue innovative Ideen zu simulieren. Liegen Messdaten vor, können Parameter angepasst und Modelle validiert werden.

Gemeinsam mit den Spezialisten für nachhaltige und digitale Gebäude von SBC Frankfurt bieten wir die Gebäudesimulation als einen wichtigen Baustein für innovative ressourcenschonende Gebäude an. Kontaktieren Sie uns!

Lina Rosenthal

M.Sc.

Lina Rosenthal

PR & Office Management

TLK Energy

Lina Rosenthal absolvierte Ihren Bachelor in Physik an der RWTH Aachen. Anschließend hat sie Gebäudeenergiesysteme an der TU Berlin studiert und Ihre Masterarbeit 2018 in Kooperation mit TLK Energy geschrieben. Seitdem ist Sie Teil des Teams. Als Allrounderin berät Sie zu Simulationssoftware, kümmert sich um Marketingaktivitäten und die Organisation des Modelica und TIL Trainings.

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